Wagner-Festtage in Reykjavik vom 01.-06. Juni

 

Hans Jürgen Fink

 

 „So stand es aber nicht in meinen Schulbüchern“, wunderte sich ein Zuschauer am Ende der Vorstellung, „da muss der Herr Wagner etwas gründlich missverstanden haben.“ Arni Björnsson, Nestor der isländischen Wagner- Forschung, muss immer noch schmunzeln, wenn er diese Episode aus dem Jahre 1994 erzählt. Damals hatten die Isländer zum ersten Mal überhaupt die Gelegenheit, ihre eigenen, ihnen allen wohl bekannten Eddas und Sagas in Gestalt des Wagnerschen Nibelungen Rings im eigenen Lande auf der Opernbühne zu erleben. Dies hatten sie Selma Gudmundsdottir zu verdanken. Die Pianistin war gebeten worden, zum 50. Geburtstag der Republik Island „etwas Herausragendes“ zu veranstalten. Sie hatte zuvor zwei Jahre in Hannover studiert, dabei ihren ersten „Siegfried“ gesehen und dann auch Bayreuth besucht. Sie stellte nun den Kontakt zu Wolfgang Wagner her und überzeugte ihn von der Idee, den Ring gewissermaßen zurück nach Hause an seine literarischen Quellen zu holen. Tatsächlich machte sich der Wagner-Enkel im Januar 1993 auf den Weg, erreichte Reykjavik in Eis und Schnee, erkundete die örtlichen Gegebenheiten und verabschiedete sich mit dem Vorschlag, die Tetralogie seines Großvaters in einer speziellen Kurzfassung auf die Bühne zu bringen. Nach dem ersten „Schock“ machten sich die isländischen Wagner-Freunde ans Werk. Mit beharrlicher Energie und dank künstlerischer Beratung aus Bayreuth schafften sie es: im Mai 1994 hob sich erstmals in Islands Opernwelt der Vorhang für den Ring des Nibelungen: alle vier Teile wurden zu einem rund vierstündigen Abend zusammen gefügt und weitestgehend mit eigenen Kräften bestritten: Gesang, Dramaturgie, Bühne und schließlich das Symphonie-Orchester Reykjavik. Eine wahre, weithin beachtete Pionierleistung! Der Wagner-Enkel staunte nicht schlecht und freute sich eines besonderen Glücks, das seinem Großvater nicht beschieden war: durfte er doch im Original der Edda aus dem 13. Jahrhundert blättern, die Richard Wagner – auf seine eigene und wie immer eigenwillige Weise- für seinen Ring neu erzählt hatte. Kein Wunder, dass so einige im Zuschauerraum die alt-isländischen Geschichten nicht auf Anhieb wieder erkannten.

 

All dies berichtete Selma mit unverminderter Begeisterung beim Symposium zu den Ursprüngen des Ringes in ihrem Land. Die Vorträge in der Universität machten den wissenschaftlichen Kern dieser Wagner-Festtage aus, zu denen der RWV Island unter dem „Stichwort Wagner“ des Internationalen Verbandes in den ersten Junitagen geladen hatte. Wiederum war Selma die Initiatorin: Noch immer führt sie den Verband, den sie 1995 mit begründete, als Präsidentin von nun über 230 Mitgliedern – eine doch erstaunliche Zahl bei nur 300 000 Insel-Bewohnern insgesamt! 

 

Viele von ihnen waren bei den Konzerten und Vorträgen präsent, nicht zuletzt beim Gala-Dinner in der Harpa, diesem wunderbaren Konzerthaus mit herrlicher Aussicht auf den Hafen von Reykjavik. Und so fanden die ausländischen Besucher, die die weite Reise übers Meer nicht gescheut hatten, zahlreiche Partner für neugierigen Fragen und freundschaftliche Kontakte. Aus den USA war eine starke Gruppe angereist, zahlreiche deutsche Städte waren vertreten, aus Portugal und selbst aus Namibia waren Wagner-Freunde dabei. Möglicherweise wäre die internationale Gäste-Schar noch größer gewesen, wäre die ursprüngliche Planung für das „Stichwort Wagner“ -eine Aufführung der „Walküre“ - nicht dem Covid-Virus zum Opfer gefallen. Gleichwohl zeigte sich RWVI-Präsident Rainer Fineske sichtlich zufrieden und froh, dass dieses Treffen nun endlich stattfinden konnte. 

 

Island und Wagner: ist diese Beziehung, um die eingangs zitierte Episode aufzugreifen, ein Missverständnis? Schließlich führten Wagners (Flucht-)Wege nie so weit in den hohen Norden. Die Worte „Island“ oder „isländisch“ kommen in seinen Texten so gut wie nicht vor. Im Mainstream seiner Epoche begibt er sich vielmehr auf die Suche nach dem „nordischen Geist“ und dem „germanischen Heldentum“. Aber all dies findet er, unterstrich Arni Björnsson in seinem Vortrag, in der Edda-Mythologie und der Völsunga saga und eben nicht im (deutschen) Nibelungenlied. Seine Freunde in Deutschland, fügte er lächelnd hinzu, hätten eine Weile gebraucht, um dies voll und ganz zu verstehen. Immerhin gehen 80 Prozent der im Ring vereinten Geschichten, Motive und Personen, so hat er heraus gefunden, auf die alt-isländische Literatur zurück. Gleiches gelte für den Erzählstil, etwa mit dem Verzicht auf den Endreim. Dies sage er, Björnsson, „in aller Bescheidenheit“. Doch ebenso bescheiden räumte er ein: Wagner komponierte keine Musik zu den isländischen Sagas, er schrieb sein eigenes Libretto. Seine Sprache, erläuterte Prof. Thorhallur Eythorsson, namentlich der „stabgereimte Vers“, stamme schon aus alt-isländischen Quellen, aber Wagner habe damit nach eigenem Belieben gespielt. Mitunter („He he! Ihr Nicker! Wie seid ihr niedlich, neidliches Volk“) habe er es damit übertrieben, um Laut und Leitmotive zu verbinden.  Als Synkretismus beschrieb die Germanistin Danielle Buschinger Wagners Arbeitsmethode, mit einzelnen Versatzstücken aus dem Fundus der nordischen Welt einen eigenen Mythos zu kreieren. Der Untergang der Götterwelt im Flammenmeer, literarisch eindeutig dem Edda-Mythos zuzuordnen, werde bei Wagner, so das Fazit der aus Paris angereisten Professorin, zum bürgerlichen Trauerspiel. 

 

Grau wäre alle Theorie, käme nicht die Musik hinzu. Oder besser: stünde sie bei einem Wagner-Kongress nicht im Vordergrund. Dafür hatte Islands Wagner-Verband bestens gesorgt. Das Kammerorchester Reykjavik machte den Auftakt mit einem reinen Wagner-Programm im kleineren Saal der „Harpa“. Hanna Dora Sturludottir, Stipendiatin des Berliner Verbandes in den neunziger Jahren, interpretierte den Liebestod aus Tristan und Isolde auf berührende Weise. Der Liebestod gehörte auch zum Abschlussprogramm der Festtage. Dieses Mal erklang er auf dem Klavier. Dazu ging es hinaus in das moderne Gemeindezentrum von Kopavogur, eine knappe Busstunde von Reykjaviks Zentrum entfernt. Der Pianist war ebenfalls ein ehemaliger Bayreuth- Stipendiat, der in Hannover beheimatete Israeli Albert Mamriev. Er kombinierte Beethoven-Sonaten mit von Liszt transkribierten Auszügen aus Opern seines Schwiegersohnes, erntete viel Applaus und bedankte sich mit zahlreichen Zugaben. 

 

Rauschenden Beifall fand auch Barbara Hannigan tags zuvor im ganz in Rot getauchten Großen Saal der Harpa. Die vielfach gefeierte kanadische Sopranistin, die sich inzwischen zudem aufs Dirigieren verlegt hat, blieb auch bei diesem ihrem ersten Auftritt in Island ihrem Stil treu: Sie machte beides zugleich. Sie sang und dirigierte- oder war´s umgekehrt? Ungewöhnlich auch die Programm-Abfolge: Zunächst dirigierte sie Charles Ives „Unanswered Questions“ und verknüpfte sie nahtlos mit Schönbergs „Verklärte Nacht“. Zum Ausklang wählte sie Gershwin und entfaltete dabei ihr ganzes Temparament: Mit „I got rythm“ rockte die Kanadierin nicht nur das Publikum im Saal. Auch im Symphonieorchester Reykjavik saßen alle Musikerinnen und Musiker gewissermaßen auf der Stuhlkante. Kein Zweifel: Mit Hannigan bläst frischer Wind durch den Konzertbetrieb. Vielleicht hätte selbst Altmeister Wagner seine Freude daran? So nach seinem eigenen Motto:“Kinder, schafft Neues!“.

 

 

 


 

 

St. Matthew’s Passion performance with the Berliner Oratorienchor

 

Hinweis

 


 

Richard Wagner und das Deutsche Gefühl

 

Liebe Freundinnen und Freunde des Deutschen Historischen Museums,

Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt im Pei‐Bau vom 8.4. bis 11.9.2022 die Ausstellung „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“. Ausgehend von der starken Polarisierung, die Richard Wagner bis heute auslöst, setzt die Ausstellung sein Leben und Werk in Bezug zu den Strömungen und Stimmungen seiner Epoche. Es werden neben hochkarätigen Leihgaben aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Frankreich teils selten gezeigte Originalobjekte aus der DHM‐Sammlung präsentiert.

 

Weitere Infos: www.dhm.de/wagner

#DHMWagner

 

Mehr Hintergrundinformationen und Einblicke in die Themen der Ausstellung „Richard Wagner und das deutsche Gefühl” bieten wir Ihnen begleitend im digitalen Format „More Story” ab dem 5. April an. Auch auf LeMO in der Richard Wagner-Biografie erfahren Sie mehr.

 

Damit keine Langeweile über die Osterferien aufkommt, bieten wir Kindern und Familien vom 11. bis 22. April 2022 ein besonderes Programm in der Ausstellung „Karl Marx und der Kapitalismus“ an.

 

Ihr Deutsches Historisches Museum

 

Richard Wagner und das deutsche Gefühl

Richard Wagner und das deutsche Gefühl

Vom 8. April bis zum 11. September 2022 zeigen wir im Pei-Bau die Ausstellung „Richard Wagner und das deutsche Gefühl”. Wir freuen uns auf Ihren Besuch!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

Temporärer Veranstaltungsort 

Im Luftraum sind wir - wie im ABBA Hotel - nun vorübergehend zu Gast. Wir hoffen, dass die Bestimmungen eine baldige Rückkehr ins Tertianum ermöglichen und werden Sie alle sofort informieren, wenn es soweit ist. Kontrollieren Sie aber bitte auch jeweils selber auf unserer Website, wo die Veranstaltungen stattfinden und erkundigen Sie sich im Zweifel gerne telefonisch bei der Geschäftsstelle.

Telefon: 0172-3808349

 

HINWEIS
Auch im Luftraum gilt die 2G-Regel, die gemäß der ab 28. Dezember geltenden Verordnung ergänzt wird um Maskenpflicht bis zum Platz und Einhalten des Mindestabstandes am Platz.

 


 

Zum Gedenken an Ks. Karan Armstrong-Friedrich

(14. Dezember 1941 – 28. September 2021)

Karan RWV 2009

Karan Armstrong und Wagner – das war eine Verbindung, die weit über die Partien des Bayreuther Meisters hinaus ging, welche die Sopranistin im Lauf ihrer über ein halbes Jahrhundert währenden Karriere verkörpert hatte. Dabei war ihr Wagner-Repertoire an sich schon eindrucksvoll – außer Eva und Isolde fehlte keine der großen Sopranpartien. Neben Senta, Sieglinde, Elsa und Elisabeth hat sie im Tannhäuser auch die Venus verkörpert. Als Kundry hat sie schon in den 80er Jahren das Territorium zwischen dramatischem Mezzo und hochdramatischem Sopran erkundet und schließlich in Helsinki auch alle drei Brünnhilden gewagt.

 

Die Inszenierung stammte einmal mehr von Götz Friedrich, mit dem Armstrong über zwei Jahrzehnte eine legendär intensive Künstlerehe verband. Das explosive Zusammentreffen bei Strauss’ Salome in Stuttgart führte über mehrfache Abreisen der Sopranistin und dezidiert ausgetragene Differenzen in der Rollenauffassung schließlich zu einem durchschlagenden Erfolg und zu Friedrichs Heiratsantrag, dem Armstrong nach zwei Jahren stattgab. Sie war dann Elsa in seiner Bayreuther Inszenierung des Lohengrin, Kundry in seinem Stuttgarter Parsifal, Venus in seinem Berliner Tannhäuser und natürlich vor allem Sieglinde und Gutrune im legendären Zeittunnel – Friedrichs Ring-Inszenierung haben seit den 80er Jahren über 400.000 Zuschauer gesehen.

 

Bei den letzten Aufführungen 2017 war Karan Armstrong natürlich im Auditorium – immer wieder hat sie sich als Sachwalterin nicht nur einer der bedeutendsten Ring-Inszenierungen an der Schwelle vom 20. zum 21. Jahrhundert, sondern auch der unzähligen Fans eingesetzt, die diese vielleicht prägnanteste Produktion ihres Ehemannes hatte.

 

Als spiritus rector und kongeniale Partnerin von Friedrichs umfassender Musiktheaterkonzeption war sie zudem ein wichtiger Motor in der Götz Friedrich Stiftung, Die Stimme nicht nur der Sängerdarsteller Sonden – nach Friedrichs Tod – auch ihres Mannes  hat sie seit 1995 vielen Regisseuren den Weg in den Musiktheaterbetrieb gebahnt. Letztlich ist es konsequent, dass die Nachfolgeinszenierung von Friedrichs Ring mit Stefan Herheim von einem Träger des Götz Friedrich Preisträger verantwortet wird.

 

Auch für die neue Sängergeneration hat sich Karan Armstrong leidenschaftlich eingesetzt. Mit ihrer begeisterten Unterstützung der Lotte Lehmann Akademie hat sie zudem entscheidend dazu beigetragen, das künstlerische Erbe ihrer legendären Lehrerin dauerhaft und auf herausragendem Niveau in deren Geburtsstadt Perleberg zu verankern. Lotte Lehmann hatte mit ihrer Sieglinde, Elsa, Eva und Elisabeth ebenfalls Gipfelpunkte der Wagner-Interpretation markiert.

 

Auch der Richard Wagner Verband Berlin Brandenburg verdankt Karan Armstrong viele Höhepunkte und beglückende Erlebnisse - sei es im Podiumsgespräch, bei den Galadiners zum 210. Geburtstag von Marie d’Agoult oder – als eine von drei Brünnhilden – anlässlich der letzten Aufführungen von Götz Friedrichs Ring-Produktion.

 

Karan Armstrongs Wirken reichte weit über Wagner hinaus – so grenzenlos wie ihr Repertoire und ihre künstlerische Neugier und Schaffenskraft, so unerschöpflich schienen ihre Lebensfreude, ihr Humor, ihre Energie und ihr strahlendes Lächeln. Es ist noch kaum zu glauben und zu fassen, dass all dies am 28. September so unvermittelt erloschen ist. (AR)

 

Karan und Rainer

Karan Ring